Der japanische Baukünstler Arata Isozaki gehörte zu den bedeutendsten Vertretern seines Fachs. Er hat ein Werk geschaffen, das sich über viele Jahrzehnte hinweg immer neu verwandelt hat. 2019 wurde er für sein Schaffen mit dem Pritzker-Preis geehrt.
Eine traumatische Erfahrung grundiert das Werk des japanischen Architekten Arata Isozaki. Als Kind erlebt er die Zerstörung seiner auf der Insel Kyushu gelegenen Heimatstadt Oita, wo er 1931 geboren wurde. Bei Kriegsende, wenige Tage nach den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki, liegt das Land in Trümmern. Später, aber lange vor Francis Fukuyamas gleichnamigem Bestseller, spricht Isozaki angesichts dieser Situation vom «Ende der Geschichte».
In der Folge widmet sich Isozaki wiederholt dem Thema der Ruine. 1962 zeichnet er «Incubation Process», die dystopische Vision einer aus Fragmenten eines griechischen Tempels herauswuchernden modernen japanischen Stadtstruktur, die schon den Keim des Untergangs in sich trägt: «Auch die zukünftigen Städte sind Ruinen. Unsere zeitgenössischen Städte entstehen, um einen flüchtigen Moment lang zu leben. Dann verlieren sie ihre Energie und verwandeln sich wieder in träge Materie.»
Die Idee einer zyklischen Erneuerung ist dem asiatischen Denken nicht fremd. Und doch war «Incubation Process» eine Provokation. Die architektonische Avantgarde plant nun Zukunftsstädte, in denen sich organisches Wachstum und technologischer Fortschrittsglaube verbinden. Doch erhält dieses Bild der strahlenden Zukunft, die mit Japans Aufstieg zur Industrienation zusammenfällt, bereits bei Isozaki erste Risse.
Frühe ikonische Werke
Isozaki eröffnet 1963 sein eigenes Büro und profitiert zunächst von den Wiederaufbauprogrammen für die kommunale Infrastruktur. Seine Karriere beginnt im heimatlichen Oita, wo er unter anderem die heute als städtische Galerie genutzte Zentralbibliothek (1966) errichtet. Dieses Meisterwerk der Sichtbetonarchitektur spitzt mit seinen übereinandergeschichteten und sich durchdringenden Tragwerken und Raumfolgen die Ideen der japanischen Moderne manieristisch-expressiv zu.
Gleiche Bauaufgabe, neun Jahre später – aber wie anders sieht das Gebäude aus, das in der nahe gelegenen Stadt Kitakyushu entsteht. Ein schlangenförmiges Gebilde, über das der Architekt ein Tonnengewölbe spannt. Damit zitiert er eine der berühmtesten Bibliotheksvisionen der abendländischen Architekturgeschichte, die des Franzosen Étienne-Louis Boullée. Die grössenwahnsinnigen Dimensionen des Raums schrumpft Isozaki herunter auf den Massstab einer japanischen Provinzstadt.
Damit setzen sich die Ideen der Postmoderne auch in Japan durch: Beim Tsukuba Center Building (1978–83) nördlich von Tokio baut Isozaki den Kapitolsplatz mit seiner Pflasterung nach. Beim Art Tower Mito (1986–90) bezieht er sich auf Constantin Brancusis «Endlose Säule», die hier in Architektur übersetzt erscheint. Postmoderne, das ist in ihrer besten Ausprägung ein intelligentes und phantasievolles Spiel mit Traditionen und Konventionen, das Isozaki virtuos beherrscht.
Wie keinem zweiten Architekten gelingt es ihm, die Brücke zwischen West und Ost, zwischen Pop und Tiefsinn zu schlagen: In New York nimmt er 1976 an der von Hans Hollein kuratierten Ausstellung «MAN transFORMS» teil und präsentiert einen begehbaren Vogelkäfig mit Gitterstangen, deren Konturen jenen der Beine von Marilyn Monroe nachempfunden sind. Und in Paris inszeniert er zwei Jahre später im Musée des Arts Décoratifs eine legendäre Schau, die dem europäischen Publikum den für das japanische Raumverständnis essenziellen Begriff des «Ma» nahezubringen versucht, der nicht die räumliche Grenze, sondern das Dazwischen thematisiert und damit Raum und Zeit zueinander in Verbindung setzt.
Förderer junger Architekten
Seit dem Neubau des Museum of Contemporary Art (MOCA) in Los Angeles wird Isozaki zunehmend in der westlichen Welt tätig – als Architekt, aber auch als Vermittler, Gesprächspartner und einflussreicher Juror in Wettbewerben. Seinem Engagement ist es zu verdanken, dass der Lausanner Bernard Tschumi in Paris den Parc de la Villette realisieren kann. Und in Hongkong ebnet er 1983 der jungen Architektin Zaha Hadid mit dem Sieg im Peak-Wettbewerb den Weg zu einer Weltkarriere.
Weil ein funktionierendes Wettbewerbswesen in Japan so gut wie inexistent ist, sorgt er dafür, dass öffentliche Bauten in der Provinz Kumamoto an herausragende, vor allem junge Architekten vergeben werden. So ist dort über die Jahre ein Freilichtmuseum moderner Architektur entstanden. 1989 entwickelt Isozaki den Masterplan für «Nexus World» in Fukuoka, ein acht Hektaren grosses Terrain, wo auf seine Einladung Projekte etwa von Steven Holl, Rem Koolhaas und Osamu Ishiyama realisiert werden. Zwischen 1994 und 2001 ist Isozaki für die Planung einer grossen Wohnsiedlung in Gifu verantwortlich. Hier werden nur Architektinnen beteiligt, darunter Elizabeth Diller, Kazuyo Sejima und die Landschaftsarchitektin Martha Schwartz.
Doch den Pritzker-Preis, der gerne als Nobelpreis für Architektur bezeichnet wird, erhält Isozaki erst 2019. Berufskollegen, deren Karriere er selbst massgeblich befördert hatte, etwa Toyo Ito oder Kazuyo Sejima, waren längst an ihm vorbeigezogen. Aber auch wenn sich die internationale Aufmerksamkeit in den vergangenen Jahren auf eine jüngere Generation von Architekten aus Japan gerichtet hat: Isozaki ist bis in seine späte Schaffensphase enorm produktiv geblieben. Er hat sich stets gewandelt und ist agil genug geblieben, um auf neue Anforderungen zu reagieren, ohne jedoch im Zeitgebundenen sich zu erschöpfen.
Zurück zu den Anfängen
Auch im hohen Alter hat er Bauten errichtet, die bleibende Qualität besitzen. So das National Convention Centre in Katar (2011), dessen gewaltiges Vordach auf baumartigen Strukturen ruht. Sie erinnern an den Lotusbaum, der laut dem Koran am Ende des siebten Himmels steht. Oder das Himalayas Center in Schanghai (2013), eine dreidimensionale Collage aus höhlenartigen Kavernen, ornamentalen Strukturen und Hochhaustürmen für eine typisch chinesische Mixtur aus Shoppingmall, Museum und Hotel.
2011 gab das Lucerne Festival bei Isozaki eine temporäre Konzerthalle in Auftrag, die er zusammen mit dem Künstler Anish Kapoor entwarf und die als aufblasbare Struktur durch die vom Tohoku-Erdbeben und vom Tsunami verwüsteten Gebiete, durch ein erneut zerstörtes Japan tourte. So schliesst sich im Lebenswerk dieses herausragenden Architekten schicksalshaft ein Kreis. Am Donnerstag, 29.Dezember, ist Arata Isozaki 91-jährig in Tokio gestorben.
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